Hallo zusammen!
Canterbury, ein Stadt im Südosten Englands ist nun der zentrale Angelpunkt eines Spieles. In diesem geht es um den Wiederaufbau ebendieser Stadt nach dem Abzug der römischen Besatzer.
Moment. Stadtaufbauspiel?
Gäähn. Hatten wir das nicht schon irgendwo mal?
„Elasund, die erste Stadt“, „Carcassonne, die Stadt“, oder auch „Alhambra“, bzw. dessen Ableger „Troisdorf“ und „New York“, oder gar den alten Spielklassiker „Manhattan“...
Klingt erst mal nicht nach einem umwerfenden neuen Spielkonzept.
Oder doch?
Öffnen wir doch einmal die Tore nach Canterbury und sehen, was uns dort erwartet...
Zuerst einmal jede Menge Teile.
Ein großer Zentralspielplan, ein kleiner Nebenspielplan, ein zweiteiliger Ablageplan für die vielen Gebäudeplättchen unterschiedlicher Größe, 4 Spielertableaus, Pappmünzen, 4 Übersichtskarten, 4 Rangmarker, 4 Wertungsplättchen, 201 Holzquader und diverse Kleinteile.
Die Spielpläne und Pappteile sind alle aus festem, dickem Karton, haben also eine gute Qualität, ebenso die Holzteile. Grafiktechnisch ist alles auf sehr hohem Niveau. Die Gebädeplättchen sind mit viel Liebe zum Detail gezeichnet, auch beim Geld und allen anderen Dingen hat man sich wirklich Mühe gegeben. Die einfachen Holzwürfel sind funktionell super für das Spiel. Jede andere Form wäre nur hinderlich. Da gibt es also nix zu meckern.
Aber hier wird schon einmal klar: Canterbury braucht VIEL Platz. Bei einem kleinen Tisch muss man wohl oder übel anbauen, oder auf den Boden ausweichen, denn sowohl der Nebenspielplan als auch die Gebäudeablage, sollte für jeden Spieler gut einsehbar sein. Und ein wenig Platz braucht jeder Spieler ja auch für seine Münzen und Holzwürfel.
Der große Spielplan besteht aus vielen kleinen Quadraten, die die Bauplätze in der Stadt repräsentieren. Je 6 Bauplätze bilden einen Bezirk.
Unterschieden werden der Zentralbezirk, die Innenbezirke und die Außenbezirke, jeweils voneinander abgegrenzt durch eine unterschiedlich grüne Hintergrundfarbe.
Bei jedem Bezirk sind noch die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bewohner in Form von Symbolen angegeben: Wasser, Nahrung, Religion, Verteidigung, Handel und Kultur. Unter jedem dieser Symbole befindet sich noch ein kleines quadratisches Kästchen.
Umgeben werden die Bezirke von der Wohlstandsleiste und der schmaleren Stadtkassenleiste.
Was es mit all dem auf sich hat, erkläre ich im weiteren Verlauf.
Die Spielregel:
Die Spielregel ist übersichtlich geschrieben und erklärt einem alles genau und ausführlich. Bebilderte Beispiele sind durchweg vorhanden. Auf der letzten Seite der Regel sind Strategietips aufgelistet, die man gerade als Erstspieler einmal lesen sollte und auch eine Regel für 2 Spieler ist enthalten. Daher kann ich hier über gar nichts meckern.
Spielvorbereitung:
Zu Spielbeginn erhält jeder Spieler 50 Holzquader in seiner Farbe, sein Spielertableau, eine Übersichtskarte und 6 Gold als Startkapital.
Jeder Spieler legt nun je einen Holzwürfel seiner Farbe auf das „0“-Feld der Wohlstandsleiste, und einen auf das Feld „Bauwerke errichten“ seines eigenen Spielertableaus.
Danach braucht man noch 6 Holzwürfel für den Nebenspielplan Königsbonustabelle.
Das rot umrandete Plättchen römischer Brunnen, wird in den Zentralen Bezirk auf einen Bauplatz gelegt und das Bedürfnis „Wasser“ mit einem violetten Holzwürfel markiert.
Die übrigen Gebäudeplättchen werden auf dem entsprechenden zweiteiligen Ablageplan gelegt.
Der Stadtmarker (ein violettes Holzhäuschen) wird auf den Wert „1“ der Wohlstandsleiste gesetzt.
Nun wird ein Starspieler bestimmt, per Zufall, oder wie auch immer man will. Dieser erhält den Rangmarker „Sachsenprinz“. Im Uhrzeigersinn werden nun die weiteren Rangmarker entsprechend verteilt.
Diese Startspielerbestimmung ist der EINZIGE zufällige oder glücksbetonte Moment in diesem Spiel. Alles andere ist pure Strategie und Taktik.
Nachdem dies alles erledigt ist, kann es mit dem Spiel auch schon losgehen...
Die erste Spielrunde:
Die erste Spielrunde ist für alle Spieler gleich. Jeder kann nur ein oder zwei kleine Gebäude errichten und danach sich die Aktion für die nächste Runde aussuchen.
Ab der zweiten Runde kann man dann immer eine von 3 möglichen Aktionen ausführen:
a) Zuschuss erhalten
Hier erhält man Geld aus der Stadtkasse. In welcher Höhe erkläre ich noch weiter unten. In der nächsten Runde MUSS man dann allerdings wieder mindestens 1 Gebäude bauen.
b) Bauwerk errichten
Hier darf man 1 oder 2 kleine und/oder mittlere Gebäude oder ein großes Gebäude errichten.
c) Steuern und Bau
Man erhält den halben Zuschuss aus der Stadtkasse und errichtet 1 Gebäude.
Mehr Aktionsmöglichkeiten hat man im Verlauf des Spieles nie. Aber die Qual der Wahl wird auch mit diesen wenigen Aktionsmöglichkeiten nicht einfacher...
Wohlstand und Zuschuss:
Jedes Gebäude das in der Stadt errichtet wird, steigert den eigenen Wohlstand ebenso wie den Wohlstand der Stadt.
Auf jedem Gebäudeplättchen sind 2 Werte aufgedruckt, der Wohlstand den die Stadt beim Bau erhält und der Wohlstand, den der Spieler durch den Bau erhält. Sowohl der Stadtmarker als auch der eigene werden um den entsprechenden Wert auf der Wohlstandsleiste weitergezogen.
Unter der Wohlstandsleiste ist die schmale Stadtkassenleiste. Je nachdem wo sich der Stadtmarker befindet, erhöht sich auch der Zuschuss, der an einen Spieler ausbezahlt wird. Hat der Stadtmarker die Wohlstandsleiste einmal umrundet, kommt eine runde Scheibe unter ihn, die den Wert 10 Gold repräsentiert.
So kann man immer genau sehen, wie viel Zuschuss/Steuern ein Spieler bei der Wahl der entsprechenden Aktion erhält. Gut durchdacht!
Gebäude errichten (die eigentliche Qual der Wahl)
Gebäude kann man nicht beliebig und wahllos errichten, dass wäre ja auch zu schön um wahr zu sein. Bei Canterbury gibt es ganz bestimmte Richtlinien für den Bau.
1.) Es darf nur waagrecht oder senkrecht eines bereits bebauten Bezirkes gebaut werden, oder eben in einem schon bebauten Bezirk.
2.) Man muss die Bedürfnisse des Bezirkes in der entsprechenden Notwendigkeit auffüllen. Sprich erst Wasser, dann Nahrung, dann Religion,...
3.) Man muss auch Platz haben um ein Gebäude zu errichten, oder die nötigen Vorraussetungen um ein bestehendes Gebäude abreißen dürfen.
4.) Es dürfen keine zwei gleichen Gebäude in einem Bezirk stehen.
Kleine Gebäude versorgen nur ihren eigenen Stadtbezirk. Mittlere Gebäude auch die vier orthogonal gelegenen Bezirke. Große Gebäude versorgen den Bezirk in dem sie errichtet wurden und bis zu 5 weitere beliebige in der Stadt.
Dadurch kann es passieren, dass durch eine Kirche ein noch unbebauter Bezirk schon mit Religion versorgt wird, noch bevor dort das Bedürfnis Wasser erfüllt ist. Will man in diesem Bezirk jetzt ein Gebäude errichten, MUSS es aber dennoch als erstes das Bedürfnis Wasser erfüllen.
Klingt so erst mal ein wenig kompliziert, ist es aber an sich nicht.
Schon schwieriger ist es, wenn man Gebäude abreißen muss. Es muss dabei gewährleistet bleiben, dass das entsprechende Bedürfnis weiter erhalten bleibt, und zwar durch einen Nachbarbezirk.
Beispiel: Man will einen Brunnen und eine Kapelle abreißen, um eine Kirche (die 2 Felder benötigt) bauen zu können. Die Kirche ersetzt die Kapelle was das Bedürfnis Religion angeht, das Bedürfnis Wasser muss aber nun durch einen Nachbarbezirk aufgefangen werden. Sprich eine Fontaine MUSS in einem der Nachbarbezirke stehen, ansonsten darf man den Brunnen nicht abreißen.
Ganz schlimm wird es dann mit einem der 6 großen Gebäude, da diese 4 Bauplätze benötigen. Und Große Gebäude können nicht mehr abgerissen werden.
Vorteil: Innerhalb eines Bezirkes kann man die Gebäudeplättchen auch verschieben, um aus 2 kleinen freien Bauplätzen einen für ein mittleres Gebäude zu machen.
Doch wozu das Ganze? Welche Vorteile habe ich durch das Errichten von Gebäuden, außer den Wohlstandspunkten die der Bau bringt?
Die Antwort ist: Einige
1.) Jeweils das erste Gebäude (erster Spatenstich) dass in einem noch unbebauten Stadtteil errichtet wird, bringt zusätzliche Wohlstandspunkte für den Erbauer. (Punkte = Anzahl der bereits erfüllten Bedürfnisse in diesem Bezirk)
2.) Jedes Gebäude erfüllt ein Bedürfnis. Baue ich also einen Brunnen in einen Bezirk, der noch nicht mit Wasser versorgt ist, markiere ich mit einem meiner farbigen Holzwürfel das entsprechende Bedürfnis dort als erfüllt. (Und dieser Würfel bleibt bis Spielende vor Ort, egal was weiter passiert)
3.) Jedes Bedürfnis das ich erfülle, schiebt meinen entsprechenden Marker auf dem Nebenspielplan Königsbonustabelle um ein Feld weiter. Ein mittleres Gebäude, dass bis zu 5 Stadtteile versorgen kann, kann also auch bis zu 5 Punkte auf der Königsbonustabelle ergeben.
4.) Werte ich ein Gebäude auf, ersetze ich also z.B. einen Brunnen durch eine Fontaine, erhalte ich 3 Wohlstandspunkte als Bonus.
Wichtig zu wissen ist, das große Gebäude unterschiedlichen Wohlstand für einen selbst geben. Im Zentralbezirk einen wesentliche höheren, als in einem Außenbezirk. Da muss man sehen wo man sie wenn am besten errichtet. Allerdings ist ein großes Gebäude nicht zwingend entscheiden für den Sieg,...
Und was bringt mir das ganze?
Die Wertungen:
Jedes mal wenn der Wohlstandsmarker der Stadt die Wohlstandleiste umrundet hat, gibt es eine Zwischenwertung, den Bezirksnimbus-Bonus (was ein Wort^^)
In jedem Bezirk wird nun geschaut, wer die meisten Dienstleistungen erfüllt hat. Der Spieler mit den meisten Dienstleistungen im Bezirk erhält den Erstbonus. Dieser ist so hoch wie die belegten Bauplätze in einem Bezirk, also maximal 6.
Der Spieler mit den zweitmeisten Markern erhält den halben Bonus.
Gibt es einen Gleichstand beim Erstbonus, bekommen die beiden Spieler je die Hälfte des Erstbonus. Der Zweitbonus wird dann nicht mehr vergeben.
3 mal wird die Wohlstandsleiste vom Stadtmarker umrundet. Entsprechend oft wird der Wohlstandsbonus vergeben. Da jeder Bezirk einzeln gewertet wird, kommen hier eine Menge Punkte zusammen. Man sollte also immer schauen, dass man nicht zu schlecht dasteht mit dem Erfüllen der Bedürfnisse in den einzelnen Gebieten.
Spielende:
Hat der Wohlstandsmarker der Stadt die Wohlstandsleiste dreimal umrundet, wird die aktuelle Spielrunde noch beendet, dann erfolgt die Schlusswertung:
a) Ein letztes (4.) mal wird der Bezirksnimbus-Bonus vergeben
b) die Königsbonustabelle wird ausgewertet. Hier wird für jedes Bedürfnis extra gewertet. Jeweils der erste und der zweite Spieler bekommen Punkte.
Gewonnen hat nun, wer den meisten Wohlstand erringen konnte.
Fazit:
Canterbury ist ein knallharter Strategiebrocken. Zufall gibt es nicht. Wie gut man am Ende dasteht, hängt alleine von der eigenen Spielweise ab.
Das Spiel ist nicht so „komplex“, wie z.B. die typischen Workerplacement-Spiele wie Madeira, Village oder auch T'zolkin, aber darin liegt auch sein Vorteil.
Gerade einmal 3 verschiedene Aktionsmöglichkeiten machen das Spielprinzip leichter zugänglich.
Schwierig ist es den Überblick über das Spielfeld und auch seine Strategie zu behalten. Bei all den Farbwürfeln auf dem Hauptspielplan und dem Königsbonusplan kann es einen denktechnisch schon mal schier erschlagen. Und genau das macht hier mitunter den Spielreiz aus.
Wo stehe ich jetzt wie da? Wo benötige ich noch Einfluss in welchen Stadtbezirk, und vor allem mit welchem Bedürfnis, um mich auf der Königsbonustabelle entsprechend voranzuschieben?
Welches Gebäude errichte ich am besten wo, um Bedürfnisse der nebenstehenden Bezirke zu bekommen und wo bekomme ich am meisten?
Fragen über Fragen...
Canterbury beginnt langsam. Da anfangs meist nur kleine und gelegentlich mittlere Gebäude errichtet werden, wandert der Wohlstandsmarker gemütlich vor sich hin. Da ist es auch noch einfach den Überblick zu behalten. Je weiter das Spiel fortschreitet, desto schneller und komplexer wird es aber, bis es ganz plötzlich unverhofft zu Ende sein kann, wenn durch mehr Geld auch große Gebäude errichtet werden können.
Einzig negativer Punkt aus meiner Sicht, ist das auszählen des Wohlstandsboni für die einzelnen Bezirke.
Gerade wenn man das Spiel noch nicht oft gespielt hat, dauert dies einige Zeit, je nachdem wie viele Bezirke bereits bebaut worden sind.
Zu empfehlen ist, dass sich ein Spieler sowohl um den Bezirksbonus als auch um die Königsbonustabelle kümmert. Da kriegt man schnell Routine und es geht leichter von der Hand.
Die Regel für 2 Spieler kann ich ebenfalls nur bedingt empfehlen. Wie in so vielen Spielen bekommt man hier einen fiktiven 3. Spieler zur Seite, den man abwechselnd führen muss. Ja die Regel funktioniert und es macht auch Spaß zu zweit, aber gegen ein Spiel mit 3-4 Leuten kann die Regel nicht ankommen.
Ich selbst hab Canterbury über Kickstarter mitfinanziert und bin absolut nicht enttäuscht worden. Schöne Grafiken, sehr gutes Material und ein eingängiges aber beileibe nicht leichtes Spielprinzip.
In meinen Spielrunden kam das Spiel bisher sehr gut an.
Aber nach dem Spiel ist man erst mal durch mit Denken, da braucht man einen NoBrainer als Nachfolgespiel, den Canterbury ist denktechnisch anstrengend.
Es gibt trotz der wenigen Aktionsmöglichkeiten viel was man bedenken muss. Immer wieder macht einem der Zug eines Mitspielers sein Zugkonstrukt zunichte. Dennoch hatte sich zumindest bei uns stundenlanges Brüten eines Spielers über einen Spielzug nicht eingestellt. Zu schnell hat man bei den vielen Baumöglichkeiten doch eine Alternative gefunden.
Die Spielzeit wird mit 60-90 Min angegeben, wobei 60 etwas unwahrscheinlich ist. Eher sind 90-120Min realistisch.
Canterbury ist mit Sicherheit nicht für jeden geeignet. Es hat zwar eine sehr gute Spieltiefe, aber die begrenzte Anzahl an Aktionsmöglichkeiten könnte den Liebhabern von Workerplacement-Spielen eventuell etwas zu wenig sein. Für ein normales Familienspiel ist es dann doch zu harte Kost.
Canterbury liegt irgendwo zwischen diesen beiden Schnittmengen und hat sich dort eine eigene Nische gesucht.
Ich selbst finde es hervorragend, aber wer Bedenken hat, sollte es vorher unbedingt 1-2mal probespielen, gerade auch wegen dem stolzen Preis, der mit über 50€ doch im oberen Preissegment liegt.
Oliver hat Canterbury klassifiziert.
(ansehen)